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DIE ZEIT

 
 

 

Unser peinlicher Präsident

Dieser ungewaschene Radikale soll den Iran vertreten? Für Mahmud Ahmadinedschad muss sich das Volk schämen. Eine Polemik

Ja, ich schäme mich. Ich schäme mich für den neuen iranischen Präsidenten, dessen Namen die Nachrichtensprecher hoffentlich nie werden richtig aussprechen können. Ich schäme mich für seinen Aufruf, Israel zu vernichten. Ich schäme mich für seine Unbildung. Ich schäme mich für die Verachtung, die er der säkularen iranischen Kultur entgegenbringt. Ich schäme mich für seine Anzüge, die grotesk schlecht geschnitten sind. Ich schäme mich für seine ungeputzten Schuhe. Angeblich wäscht er sich auch nicht, so konnte man in iranischen Weblogs nachlesen. Wahrscheinlich ist ihm Seife zu bourgeois. Wahrscheinlich will er aussehen, als käme er direkt von den Barrikaden oder, besser noch, von der Besetzung der amerikanischen Botschaft. Dabei sieht er mit seinem Bart, der ihm bis unter die Augen wächst, eher aus, als käme er direkt aus der Wildnis.

Kein Telefongespräch mit Iran, in dem nicht mindestens ein Witz über den neuen Präsidenten gerissen wird. Ein Beispiel? Bitte: Warum trägt der neue Präsident seit Neuestem einen Mittelscheitel? Um die männlichen von den weiblichen Flöhen zu trennen.

Ja, ja, Sie lachen. Ich finde das nicht mehr witzig. Der Mann ist mein Präsident. Ich schaffe es nicht, mich mit meinem zweiten, dem deutschen Pass zu beruhigen. Mitgefangen, mitgehangen, ist mein Gefühl, oder: Einmal Iraner, immer Elend. Ich habe nun einmal den Pass. Und, ja, ich habe das Land schrecklich gern, den Duft seiner Reisgerichte, den traurigen Witz seiner Menschen, die Zärtlichkeit im Umgang. Wenn mir Iran gleichgültig wäre, könnte ich mit den Schultern zucken oder mir bequem etwas über den islamischen Faschismus zusammenreimen.

Natürlich treffen solche Floskeln das ideologische Elend, um das es geht, nur ungenügend, zumal wenn sie in Deutschland ausgesprochen werden. Aber das Elend selbst wird dadurch nicht besser. Es ist das Elend meines eigenen Landes, meiner eigenen Religion. Gerade weil ich Iran und den Islam zu kennen glaube, vermag ich einzuschätzen, wie tief beides gesunken ist.

Es tat mir körperlich weh, als der neue Präsident vor die Vollversammlung der Vereinten Nationen trat: Der Mann redete, als wäre er auf dem Parteitag der nordkoreanischen KP. Und so jemand redet für Iran, für das Land von Dichtern wie Hafis und Denkern wie Avicenna. Als sich die Deutschen noch in ihren Wäldern verschanzt haben, hatte Iran schon eine Hochkultur. Und jetzt das. Evolutionsgeschichte im Rückwärtsgang. Haben wir denn unter 70 Millionen Bürgern keinen anderen, der uns im Ausland repräsentiert, als ausgerechnet diesen Ausbund an Selbstgewissheit und Eifer?

Ich kann tausendmal beteuern, dass die Iraner nicht so sind wie er, dass der neue Präsident eine verschwindende Minderheit repräsentiert, dass die Auszählungen im ersten Wahlgang manipuliert waren und selbst die zehn oder fünfzehn Millionen, die dem neuen Präsidenten in der Stichwahl ihre Stimme gegeben haben mögen, an alles Mögliche dachten, an Jobs, an den Kampf gegen die Korruption, an seinen Gegenkandidaten Rafsandschani, den reichsten Mann Irans, aber nicht daran, Israel zu zerstören – als ob Iran bei einer Arbeitslosigkeit von 30 Prozent nichts Besseres zu tun hätte?

 

TEIL 2

Ich kann meine deutschen und israelischen Freunde beschwören: Leute, wirklich, glaubt mir, wir sind nicht so wie der, ich war doch selbst oft genug dabei, wenn der Staat Massenaufläufe organisiert wie den Tag zur Befreiung Palästinas. Das sind Volksfeste, die angeblichen Demonstranten werden da in Bussen angekarrt, es gibt Karussells, Tombola und kostenloses Essen, die haben ihren Spaß.

Die »Demonstranten« gegen Israel werden mühsam angelockt

Und diese Bilder in den Nachrichten, diese Bartträger und voll Verschleierten, die die Fäuste in die Luft strecken und »Tod Israel!« rufen? Ja, mein Gott, da rollt das iranische Staatsfernsehen auf einem Lastwagen an, und darauf ist so ein kleiner Schwenkkran montiert, von wo aus der Kameramann über die Menge fährt, und dann rufen einige hundert Menschen pflichtschuldig: »Tod Amerika, Tod Israel, Tod den Feinden der Herrschaft der Rechtsgelehrten, Tod den Liberalen, Tod den schlecht Verschleierten, Tod den Krawatten«, das ganze Programm, welcher Jahrestag auch immer gerade auf Sendung ist.

Und wenn das Staatsfernsehen seinen Schwenkarm einfährt, sinken die Fäuste, und die Fanatiker verstreuen sich, holen sich bei der Tombola ein Los oder gönnen ihren Kindern eine Coca-Cola. Früher kamen Millionen zu solchen Aufläufen, heute gerade so viele, dass man im Fernsehen eine Masse vorgaukeln kann, einige zehntausend, und selbst die sind nur noch anzulocken mit viel Budenzauber.

So läuft das, sage ich meinen Freunden, und wenn sie mir noch immer nicht glauben, sage ich, fahrt doch selbst nach Iran und macht den Kippa/Turban-Test, ihr werdet sehen.

Der Kippa/Turban-Test? Ja, stellt euch mit einer Kippa auf dem Kopf an eine Straße in Teheran und haltet Ausschau nach einem Taxi. Ihr werdet kein Problem haben, eins zu finden, im Gegenteil: Seid nicht überrascht, wenn der Fahrer euch zum Essen einlädt, und sei es, um euch nach einem Visum zu fragen. Aber lasst euch einen Bart wachsen, setzt einen Turban auf, und stellt euch dann im Mullah-Kostüm in Teheran an die Straße: Ihr werdet kein Taxi finden. Jedenfalls nicht so schnell. Und wenn ihr doch eins gefunden habt, wird euch der Fahrer mit Vorwürfen überschütten. Oder den neuesten Präsidenten-Witz erzählen. Oder euch fragen, was um Herrgotts willen denn der Islam nun wieder zum Thema Seife oder Schuhputzen gesagt hat, dass der neue Präsident so ungepflegt daherkommt. Das ist Teheran, nicht diese Flegel, die sich jetzt Präsident oder Minister nennen. Wenn ich das schon in den Nachrichten höre: Iran sagt dies, Iran sagt das – niemand von den Menschen in Iran, die ich kenne, sagt das. Die sagen alle das Gegenteil. Sogar dem Revolutionsführer ist der neue Präsident zu radikal. Er hat ihn längst zurückgepfiffen. Iran habe nicht die Absicht, irgendeinen Staat anzugreifen oder auch nur zu bedrohen. Iran wolle seine Revolution nicht exportieren. Die Verhandlungen mit Europa werden wieder aufgenommen. Basta. Zurück ins Glied, Herr Präsident.

TEIL 3

Religiöse Politik träumt vom Paradies – und macht das Leben zur Hölle

Das Problem ist nur: Der Mann geht nicht mehr einfach zurück ins Glied. Der Mann hat eine Mission. Der ist beseelt. Schon schließt man in Teheran Wetten ab, wann das Regime den neuen Präsidenten bei einem Attentat zum Märtyrer adelt. Hat es angeblich alles bereits gegeben. Anfang der achtziger Jahre gab es schon einmal so einen Radikalen als Präsidenten. Lange hat er nicht überlebt. Zu viel Ideologie kann sich die Islamische Republik nicht leisten – und schon gar nicht einen Politiker, der an all das glaubt, was das Staatsfernsehen predigt.

Wenn Oppositionelle verhaftet, Bücher verboten oder Zeitungen geschlossen werden, das geht, das kann man dem Präsidenten zubilligen, danach kräht im Ausland kein Hahn, ist ja seit seinem Amtsantritt hundertfach geschehen, ohne dass sich die westlichen Medien empört hätten. Selbst die Steinigungen kann man wieder einführen und Handabhacken und Ähnliches, ist alles im grünen Bereich. Kann notfalls unter dem Label »Dialog mit dem Islam« laufen, Gesprächsrunde »Verständnis für andere Werte«. Aber man kann doch nicht einfach mal so nebenbei sagen, Israel wolle man selbstverständlich vernichten. Jedes Kind in Iran weiß, was das bedeutet.

Auch der Revolutionsführer kennt die Folgen: Iran wird noch mehr isoliert, die Aktienkurse fallen noch tiefer in den Keller, die Arbeitslosenquote steigt noch höher, es wird für Iraner noch schwieriger, ein Visum fürs Ausland zu ergattern. Dem neuen Präsidenten ist das egal. Auf die Wirtschaftskrise angesprochen, sagte er vor kurzem, er sei nicht da, um Arbeitsplätze zu schaffen, sondern dafür zu sorgen, dass der Mahdi bald wiederkehrt. Der Mahdi ist der vor elfhundert Jahren entschwundene zwölfte Imam der Schiiten, der am Ende der Zeit als Messias wiederkehren soll, um die Welt zu erretten und die ewige Gerechtigkeit auf Erden herzustellen.

Das sind die Dimensionen, in denen der neue Präsident denkt: Ewigkeit. Amen. Er scheint nur in all seiner religiösen Ignoranz überlesen zu haben, wie die Welt beschaffen sein muss, damit der zwölfte Imam wiederkehrt. Wie in den messianischen Vorstellungen des orthodoxen Judentums und Christentums errichtet auch der zwölfte Imam der Schiiten erst dann das Paradies auf Erden, wenn sie eine Hölle geworden ist. Wer dem zwölften Imam den Weg bereitet, muss das Leben also zur Hölle machen. Der neue Präsident weiß gar nicht, wie weit er schon vorangekommen ist. Mahdi, bitte bereithalten zur Übernahme.

Navid Kermani, 1967 als Iraner in Deutschland geboren, lebt als Schriftsteller in Köln. Vor kurzem erschien von ihm im C. H. Beck Verlag »Der Schrecken Gottes. Attar, Hiob und die metaphysische Revolte«

 (c) DIE ZEIT 24.11.2005 Nr.48

 

 
 
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